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DIE KLAVIERSPIELERIN

Interview mit Michael Haneke

von Stefan Grissemann

Exzerpte eines Interviews mit Michael Haneke

Die Langfassung dieses Gesprächs findet sich in dem Buch "Haneke / Jelinek: Die Klavierspielerin" (Hg. von Stefan Grissemann), das der Wiener Verlag Sonderzahl anlässlich des Kinostarts der Romanverfilmung publiziert.

Dem subjektiven Sprachrausch in Elfriede Jelineks Roman steht ihr Film gegenüber, der das Drama sehr viel "objektiver" anlegt. Was im Kinobild gegenüber dem Roman flacher wird, scheinen Sie psychologisch wieder vertiefen zu wollen.

Der klassische psychologische Roman und auch das Genrekino erklären ununterbrochen, warum ihre Figuren so sind, wie sie sind: Das ist das Dümmliche daran. Die Conclusio soll aber dem Zuschauer vorbehalten bleiben und nicht schon im Werk mitgeliefert werden. Ich will den Zuschauer nicht entlasten. Ich halte meinen Film für die Parodie eines Melodrams, so wie der Roman eine Art Parodie des klassischen psychologischen Romans ist. Das war der Grund, warum ich das gemacht habe. Psychologische Romane kann man vielleicht heute fürs Fernsehen machen, im Kino interessiert mich das nicht. Der Film verweigert Erklärungen, das mag ihn provokant oder beunruhigend machen, obwohl er versucht, seine Figuren aus den Situationen heraus nachvollziehbarer, identifizierbarer zu machen, als das im Roman geschieht.

Es liegt nahe, sich den Roman - und möglicherweise auch Ihren Film - mit psychoanalytischen Modellen zu erarbeiten. Haben Sie in Ihrer Arbeit die Psychoanalyse miteinbezogen?

Ich halte die Psychoanalyse für den Tod in der Kunst (lacht), na ja, jedenfalls für vermeidbar. Als therapeutisches System hat sie sicher ihre Meriten, im Roman und im Kino führt sie wie die Soziologie, wie alle Ideologien, automatisch zu Erklärungen. Psychoanalyse ist leider eine Ideologie, mit der Vorgabe, eine Wissenschaft zu sein. Dagegen bin ich allergisch. Und dazu passt, was Susan Sontag geschrieben hat: Die Interpretation ist die Rache der Intellektuellen an der Kunst.

Haben Sie, als Sie die erste Drehbuchfassung zur "Klavierspielerin" geschrieben haben, den Kontakt zur Autorin gesucht?

Wir haben uns schon mal getroffen und über das Projekt geredet, aber von Zusammenarbeit kann keine Rede sein. Das wollten wir beide nicht.

Es scheint, als sei der Humor des Films für viele Beobachter die Quelle und das Zentrum der Verstörung. Sie haben DIE KLAVIERSPIELERIN scherzhaft als "meine kleine Komödie" bezeichnet, anderswo als Persiflage eines Melodrams. Andererseits ist doch gerade in Isabelle Hupperts Performance Ironie kaum zu orten.

Es ist sicher eine Tragikomödie. Dabei sind Tragikomödien eigentlich das Allerschlimmste, viel schlimmer noch als Tragödien. Letzteren kann man nämlich immer noch vorwerfen, dass sie einseitig seien, weil man das Komische eben weggelassen habe. Es ist ja nicht wahr, dass - wie man sagt - mit Humor betrachtet alles viel weniger schlimm sei. Die Komik mildert den Schrecken nicht. Denken Sie an Thomas Bernhard. Oder warum heißen denn Tschechows Stücke alle "Komödien"? Da schlag ich mir auch nicht dauernd auf die Schenkel. Sie sind nur so genau beobachtet, dass das Lächerliche an den Figuren und das Mitleid mit ihnen nicht zum Widerspruch wird. Das ist die hohe Schule, das Schwierigste. Das hab ich versucht: einen Film zu drehen, der zugleich komisch und scheußlich ist.

Wenn wir vom Melodram sprechen, das - wie Sie sagen - die Basis Ihrer "Klavierspielerin" darstellt: Wie ist Ihr Bezug zum Genre?

Bei "Funny Games" hab ich die Regeln des Thrillers Punkt für Punkt systematisch unterlaufen. Das ist in DIE KLAVIERSPIELERIN nicht der Fall, weil das nicht mein primärer Ehrgeiz war, aber es hat sich die Möglichkeit ergeben, eine Genrefilm zu drehen, ohne einen Genrefilm machen zu müssen. Das klassische Melodram ist ja eine Lüge. Es erfüllt bestimmte Erwartungshaltungen und Erklärungsmodelle: Die Welt muss am Ende eines Melodrams wieder eingerichtet sein, die Werte müssen wieder ihren Wert haben.

Genau das nervt mich am Melodram. In der gesamten modernen Literatur gibt es ja kein Melodram, höchstens die Parodie desselben. Elfriede Jelinek ist ein eklatantes Beispiel dafür. Alles Ernst gemeinte im Melodram, sei es Literatur oder Film, ist ja nicht mehr als Kunst zu bezeichnen. Das ist eben Trivialkultur.

Halten Sie den Film, wie er nun vorliegt, noch für eine Arbeit über das Obszöne? Oder gar: für selbst obszön?

Obszön, ja, ich hoffe schon, dass er das ist.

Inwiefern?

Obszön ist all das, was sozial nicht zugelassen ist. Pornographie dagegen versucht, das Obszöne konsumierbar, verkaufbar zu machen. Der Film beschreibt eine psychische Haltung, die nicht "zugelassen" ist: Schon darin ist er also obszön. Übrigens hoffe ich, dass in diesem Sinn alle meine Filme obszön sind. In zweiter Linie geht es aber in DIE KLAVIERSPIELERIN auch um eine konkrete Darstellung des Erotischen, die nicht den Konventionen entspricht. Ich glaube, dass die Szene auf der Toilette schon obszön ist.

Nicht gewohnt ist man ja auch, dass jemand Sex im Kino einfach nur ernst nimmt.

Na gut, aber da gibt es schon etliche große Filmemacher, die das getan haben. Nehmen Sie Oshimas "Im Reich der Sinne" oder einen der größten Filme aller Zeiten, Pasolinis "Salo": Da ist über Gewalt und Sexualität alles gesagt, was zu sagen ist. Auf die unerträglichste Weise.

aus dem offiziellen Presseheft "Die Klavierspielerin"

 

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